Schleife, Ortsteil Rohne, Feldweg 52. Eine Adresse, die Bände spricht. Steht man vor dem Haus, zu dem die Adresse gehört, sieht man, dass sie Wort gehalten hat. Wiese, Wald und weite Felder. Viel Luft zum Atmen und ein freier Blick, ganz weit, bis an den Horizont. Um das Klischee rund zu machen, begrüßt uns ein überaus freundlicher großer Hund, der unbedingt wissen will, wer die Fremden sind, die auf seinen Hof rollen.
Nicht weniger freundlich und wohl auch ein bisschen neugierig steht Alexander Thiel in der Haustür und winkt uns hinein. Ein Gespräch mit dem sächsischen Ministerpräsidenten, irgendwann im letzten Herbst, bei einer Bürgerversammlung in Trebendorf, war ausschlaggebend dafür, dass wir hier sind. Und den Bauingenieur als erstes fragen, warum man sich in seinem Haus sofort so wohl fühlt. „Na ja“, sagt er und zieht fast entschuldigend die Schultern hoch, „ich hab’ nur außen den modernen Unfug weggelassen wie eine Wärmedämmung aus Styropor. Und innen alles mit Lehm verputzt. Ist doch verrückt, in so’nem voll isolierten Passivhaus, da musste künstlich lüften, um zu überleben.“
Vor nicht mal einem Jahr ist er mit seiner Frau hierher gezogen. Sie stammt aus Welzow, er aus Ostberlin. In Dresden, wo er in einem bundesweit tätigen großen Ingenieurbüro arbeitet, wollte er nicht bleiben. Ein bisschen zu engstirnig sei es ihnen da geworden. Jeden Montag musste er aus den Bürofenstern mit anschauen, wie sich die Leute von links mit denen von rechts bloß noch gegenseitig angeschrien haben. Das erste, was ihm in Rohne dagegen aufgefallen sei, war neben dem unglaublich vielen Grün die Offenheit und Hilfsbereitschaft der neuen Nachbarn.
Das muss sich irgendwie rumgesprochen haben. „Als wir ankamen, standen 18 Höfe zum Verkauf. Jetzt ist es nur noch einer.“ Nach den Jahren der Unsicherheit, ob der Tagebau das Dorf fressen wird, herrscht jetzt wieder Zuversicht. 600 Meter von Thiels Häuschen entfernt werden die Bagger stoppen, das ist inzwischen klar. Dann ist Schluss mit der Kohleförderung. „Ja, so ein grundlegender Wandel bringt viel Unruhe. Aber er ist auch eine große Chance, bestehende Strukturen zu verlassen.“ Er selbst hat das gemacht. Arbeitet jetzt an zwei Tagen pro Woche im Home Office. Und ist damit nicht der einzige in seiner Firma. „Viele Menschen zieht es raus aus den großen Städten. Vor allem die, die ganz am Anfang ihres Berufslebens stehen oder sich schon auf das Ende zubewegen.“
Und jetzt gibt es da diese Scheune. Eine denkmalgeschützte Schrotholzscheune. Ziemlich gut erhalten. Sie hat, vermutet Alexander Thiel, einst den Beerenpflückern als Unterschlupf gedient. Ein ziemlich großer Unterschlupf. Die Augen des gelernten Baufacharbeiters fangen verdächtig an zu funkeln, wenn vor dem imposanten Holzbau steht. „Mein Vater war Zimmermann. Ich habe höllischen Respekt vor Menschen, die so etwas bauen.“ Nur ein kleines Stück Restwald trennt die Scheune vom Tagebau. Der Wald wird weichen müssen, die Scheune auch. Und hier kommt der Plan in’s Spiel. Thiel will die Scheune retten. Sie Stück für Stück abtragen lassen und auf seinem Grundstück wieder aufbauen.
„Jetzt haben wir quasi einen Zwei-Seiten-Hof. Mit der Scheune wäre es wieder ein kompletter Drei-Seiten-Hof, wie er für diese Gegend typisch ist.“ Auch ein Nutzungskonzept hat er schon. Ein Freund in Brandenburg ist bildender Künstler, träumt von einem eigenen Atelier mit Wohnung. Und einem Kunsthof, für die Leute von hier. In den anderen Teil will Thiel ein Büro für sich bauen. „Wir ringen, wie viele Branchen, akut nach Fachkräften. Und das wird noch schlimmer. Also könnten wir guten Leuten, die aus der Energiewirtschaft ausscheiden, eine berufliche Perspektive geben. Und das in ihrer Heimat.“
Viele, denen der Ingenieur von seiner Idee erzählt hat, sind begeistert. Die Denkmalpflege sowieso. Die LEAG, die für die Rettung der denkmalgeschützten Scheune verantwortlich ist. Aber auch die Gemeinde, die für Rohne eine Begegnungsstätte für europäische Minderheiten plant. Nur der zuständige Bearbeiter der Genehmigungsbehörde hebt die Hände. Weil es die Vorschriften des Baugesetzbuches nicht hergäben, wird es derzeit als nicht genehmigungsfähig eingestuft. Alexander Thiel nickt dazu. „Ja, wir liegen im sogenannten „Außenbereich“. Aber das sind Vorschriften aus den 50er Jahren, die derzeit dem Strukturwandel hier in der Lausitz entgegenstehen“
Er wünscht sich eine Einzelfallbetrachtung, eine kluge Abwägung und die Anwendung von Ermessensspielräumen, die es nach seiner Meinung immer gibt. „Mit der Neu-Nutzung als Kunst-Scheune auf sicherem Boden wäre doch allen geholfen und niemandem geschadet. Es gäbe keine Verlierer.“ Immer noch schwärmt er davon, wie sie als „Neu-Rohner vor kurzem eingeladen wurden vom Ortschaftsrat, dem Schalmeien-Orchester, der freiwilligen Feuerwehr und dem Dorfclub. Eine 62 Seiten starke Broschüre haben sie ihm damals in die Hand gedrückt mit dem Titel „Unser Dorf hat Zukunft“.
Diese Zukunft, da ist sich Thiel sicher, wird dann eine gute, wenn alle, die den Strukturwandel in der Lausitz tatsächlich wollen und jetzt viel davon reden, über ihren Schatten springen und die alten Strukturen überwinden. Momentan jedoch sieht es danach aus, dass das Vorhaben, ein denkmalgeschütztes Objekt zu retten und gleichzeitig eine kulturelle Bereicherung für den Ort zu schaffen, scheitern könnte. Trotz mehrfacher Willensbekundungen seitens der Politik und der Verwaltung ist der unbürokratische Strukturwandel derzeit noch nicht in Sicht. Noch hat er Hoffnung, dass eine weitsichtige Lösung möglich ist.
Text: Axel Krüger | Fotos: Paul Glaser