Sarah Gwiszcz ist eine Wucht. Oder sagt man Erscheinung? Einigen wir uns auf imposante Persönlichkeit. Allemal in Lübbenau, diesem eher beschaulichen Spreewaldstädtchen. Mit rauem Charme werden hier die vielen touristischen Gäste begrüßt, die sich brav anstellen, um einen der begehrten Kahnplätze zu ergattern. Ausgerüstet mit ein paar kleinen Schnapsfläschchen kann man sich herrlich entspannt über 300 Kilometer Fließe staken lassen, mit vom Fährmann kaufmännisch clever kalkuliertem Halt am Gurkenstand.
Ob Sarah Gwiszcz sich auch ab und an eine Spreewaldgurke gönnt, bleibt unbeantwortet. Nach einer gemütlichen Kahnfahrt scheint ihr der Sinn jedenfalls nicht zu stehen. Vermutlich würde die quirlige Modedesignerin eh gleich den ganzen Kahn umschmeißen. Still sitzen ist nicht so ihr Ding. Als es sie nach der Schule in die große Stadt drängte, nach Berlin, auf die renommierte Akademie für Mode und Design, hatte sie schon eine Ahnung davon, dass die sorbisch-wendischen Trachten, die ihr als Kind vertraut waren, ihr Thema sein könnten. „Die Inspiration lag schließlich vor der Tür.“
Dass Sarah Gwiszcz allerdings die traditionellen Formen und Farben unangetastet lassen würde, kann keiner vermuten, der ihr gegenüber steht. Sie war, wie sie freimütig erzählt „mehr so der Punk“ als Schülerin, hat sich mit Springerstiefeln an den Füßen und dem Aufnäher „Haut die Glatzen bis sie platzen“ auf dem Parka gelinde gesagt nicht das Wohlwollen des Schuldirektors eingefangen. Der revolutionäre Geist sitzt tief in ihr drin. Vielleicht auch deshalb hat sie ihr Label „Wurlawy“ genannt, was übersetzt „Wilde Spreewaldfrauen“ heißt.
Auf einer Reise nach Mexiko begegnet sie den „Ofrendas“, bunt geschmückten und mit reichen Gaben versehenen Altären für die Verstobenen. Die Toten kommen der Sage nach jedes Jahr für einen Tag zurück zu den Lebenden und feiern mit ihnen. Das gefällt Sarah. Und ihr kommt der Gedanke, dass auch der traditionellen Tracht ihrer Heimat ein wenig von diesem Glauben an die Wiederauferstehung gut tun könnte.
Die zur Feier gefertigten „Calaveras“, grellbunte Masken und Skelette aus Pappmaché, mit Blumen, Strass und Süßem ausgestattet, künden davon, dass der Tod der Beginn des Lebens ist. Und so finden diese Einflüsse ihren Weg in Sarahs Abschlusspräsentation an der Design- Akademie im Jahr 2012 mit bereits sehr positiven Reaktionen aus der Modewelt. Auf dem Hof ihrer Eltern in Ragow baut Sarah einen Schnitttisch und zwei Nähmaschinen auf und legt los. „Der Weg zu uns in die Pampa war nicht ganz so einfach, da ist bestimmt mancher wieder umgedreht.“ Doch der Kundenstamm wächst. 2015 lässt sie sich überreden, ihre Kollektion auf der Berliner Fashion Week zu präsentieren. Mit riesigem Echo.
Die Presse überschlägt sich. Sarah gibt ein Interview nach dem anderen, die Fernsehsender rufen an. Schnell wird ihre Nähstube zu klein, sie zieht um in einen Laden am Rand von Lübbenau und von dort nach drei Jahren ins Zentrum. Anfang Januar 2019 eröffnet sie zur 5-Jahres-Feier ihr Atelier in der Altstadt und weiß sich vor Eintritt zahlenden Gästen kaum zu retten. „Es gibt ein neues regionales Selbstbewusstsein, einen positiven Stolz auf die Heimat, weit weg von dumpfer Abgrenzung. So eine Haltung kann man mit meinen Kreationen gut zum Ausdruck bringen.“ Der Bürgermeister von Lübben trägt einen Mantel von ihr. Brandenburger Unternehmerinnen stehen regelmäßig in der Tür. Eine Kahnführerin hat ihr berichtet, wie oft sie von Touristen auf die spezielle Tracht angesprochen werde, die Sarah für sie maßgefertigt hat.
Längst hat sie Unterstützung. Eine Schneiderin aus der Nachbarschaft näht die Einzelteile, Brautkleider und Festgewänder. Eine Cottbuser Schneiderei fertigt die Kleinserien für sie. Kumpels gestalten nach ihren Zeichnungen per Siebdruck originelle Shirts. „Ich mache nur noch die Entwürfe, die Schnitte. Zu mehr komme ich nicht.“ Und sie sorgt dafür, dass alle Stoffe nachweislich nicht aus Kinderarbeit stammen, fair produziert werden und weitgehend biozertifiziert sind. Der Tourismusverband hat ein Farbspiel in Rot bei ihr bestellt, um bei der Internationalen Tourismusbörse in Berlin unter den tausenden Ausstellern und Besuchern hervorzustechen. Ein großer Energieanbieter hat seine Messehostessen von ihr ausstatten lassen. „Da kommt ganz viel positives Feedback, das macht mich glücklich.“
Mit Workshops für Jugendliche und Modenschauen in Schule, „wo ich die Puppen richtig tanzen lasse“, versucht sie den Nachwuchs für ihr Thema zu begeistern. Da hat sie neulich doch tatsächlich den alten Schuldirektor wieder getroffen, der ihr Stiefel und Sprüche von einst nicht mehr nachtrug. Sarah Gwiszcz ist sichtlich zufrieden. Wegen der Kindererziehung den ganzen Tag zu Hause rumzugglucken könne sie sich nicht vorstellen. „Lieber weiß ich kaum, wie ich alles schaffe“, sagt sie lachend und schiebt uns in Richtung Tür. „Die Kunden müssen so schon zwei Monate auf ihre Bestellungen warten, da kann ich jetzt nicht noch mehr Zeit mit Euch verplempern.“
Text: Axel Krüger | Fotos: Paul Glaser