Der Lausitzer mag es, wenn man ihm zuhört, antwortet mir Michael Freudenberg auf die Frage, wie man das Herz eines Lausitzers gewinnt. Da ist es gut, dass wir nicht nur unseren Termin in seiner Firma in Senftenberg, sondern auch die Autofahrten von und zurück nach Berlin für unser Gespräch haben. Zunächst aber fragt er, ob wir uns ein Viertelstündchen später treffen könnten, er wolle vorher noch seine Kinder in den Kindergarten bringen. Können wir!

Hallo, ich bin der Micha von neuziel

Zwischen Sanft am Berg und schlimmer Mückenort, erklärt mir Wikipedia den Ursprung des Namens Senftenberg. Firmenchef Freudenberg, der sich gleich mal als Micha von neuziel vorstellt und das Du als Grundlage jeder guten Geschäftsbeziehung betrachtet, fällt zuallernächst der Tagebau ein, wenn man ihn nach seiner Heimatstadt fragt. Das Ende der Kohleförderung hat er als kleiner Junge immer wieder lebhaft erzählt bekommen. Jetzt ist er begeistert von dem radikalen Neubeginn, den er in der Landschaft der Region seitdem miterleben durfte. Mehr noch, die Möglichkeiten, die in einer solch kompletten Veränderung stecken, sind Thema nicht nur seines beruflichen Schaffens geworden.

Und da er ein Mann der Tat ist, hat er sich als Hebamme der Digitalisierung mit seiner Firma neuziel positioniert. Den Begriff entwickeln wir im Gespräch und Micha fühlt sich verstanden. Neuziel berät mit 10 Mitarbeitern Unternehmen in Digitalisierungsfragen, verteilt auf die drei Standorte Cottbus/Chóśebuz, Senftenberg und Berlin, um nahe an den Kunden zu sein. Der Name neuziel ist Programm. Es ginge, so Freudenberg darum, keine Angst zu haben, sich immer wieder neue Ziele zu setzen, neue Menschen kennenzulernen und neue Dinge zu lernen. Die Begeisterung für das Neue und seine Möglichkeiten ist bei Micha aber mehr als eine Geschäftsidee, sie ist sein Motivator. So nutzt er jede Gelegenheit, dazuzulernen, etwa die langen Autofahrten für spannende Podcasts oder unser heutiges Gespräch, um viele Fragen zu stellen. Nach den Fragen und der Beratung geht es aber auch um die Umsetzung, die macht mit etwa 80 % den Großteil der Projekte aus.

Mein Herz schlägt für die Lausitz

„Mein Herz schlägt für die Lausitz. Hier wird gerne bewahrt. Ich aber bin jemand, der auch mal vorangeht. Ich möchte Dinge weiterentwickeln und in der Region voranbringen“, sagt Micha über sich selbst. Seit einigen Jahren wohnt er mit seiner Familie im Exil in Berlin-Lichtenrade, überlegt allerdings, wieder zurück in die Region rund um Senftenberg zu ziehen, aus der nicht nur er, sondern auch seine Frau kommt und in der er seine Kinder gerne verwurzeln würde.

Als Ur-Senftenberger stellte sich für ihn nie die Frage, warum die kleine Stadt am See für eine Neugründung geeignet ist, sondern eher die Frage, warum es Berlin sein muss. Es war schnell klar, als er für seine Familie nach Berlin zieht, dass es der Stadtrand bleiben würde, aus dem er schnell wieder in Senftenberg ist. Vor Ort ansprechbar, greifbar sein und den Menschen in seiner Region zurückgeben, was er lernen durfte, ist ein großer Teil seiner täglichen Motivation. Dabei bietet ihm die Lausitz einen Ort, an dem, wie er sagt vieles noch nicht so vorhanden ist wie etwa in Berlin und damit die Möglichkeit bietet, gemeinsam Neues aufzubauen. Und zuhören, stellen wir im Gespräch fest, ist der erste Schritt beim Lernen.

Ein typischer Satz aus der Lausitz? Das haben wir schon immer so gemacht.

Das lässt Micha so nicht stehen. Er hat ein eigenes Format entwickelt, um zuzuhören, voneinander zu lernen und neue Ideen zu pflanzen: den digitalen Kaffee: „Wir treffen uns in einem Café für eine Kaffeelänge, vielleicht noch mal nachschenken, aber dann muss das Thema abgehandelt sein. Man tauscht sich aus, privat und geschäftlich. Das passiert vor Ort und nicht digital. Den digitalen Aspekt bringe ich mit, wenn ich von unserer Arbeit erzähle. Das große Wort Digitalisierung meide ich dabei. Ich verstehe darunter mehr als die nötigen Anpassungen und Veränderungen, sondern ganz allgemein die Zeit, in der wir leben. Und wenn das verstanden wird, dann sitzen wir in einem Boot und können losrudern.“

Text & Fotos: Anne Seubert