Fährt man an einem graunebeligen Januartag durch den Nochtener Forst Richtung Weißwasser, ist ein gewisser Mangel an optischer Ablenkung beim besten Willen nicht zu übersehen. Die langgezogene Straße durch einen der größten Truppenübungsplätze Deutschlands bietet beim Blick aus dem linken Seitenfenster von breiten Sandwegen durchzogene Kiefernwälder. Blickt man rechts aus dem Fenster, sieht man ziemlich genau das gleiche. Da hilft nur das Autoradio mit dem Besten aus allen Jahrzehnten zur Aufheiterung oder die Aussicht, in einer halben Stunde Heiko Rauhut kennen zu lernen.
Das telefonische Vorgespräch zumindest lässt erahnen, dass es ein munterer Termin wird. Ohne eine Sekunde zu zögern, hatte der 38jährige einem Interview für diese Zeitung freudig zugestimmt und mehrfach betont, dass sein Lebensweg nicht so der allernormalste sei. „Aber ideal geeignet, um anderen zu zeigen, dass es sich lohnt, immer wieder aufzustehen. Und dass es sich in der Lausitz echt gut leben lässt.“ Na, wir sind neugierig.
Von außen ist die Eishockeyarena von Weißwasser alles andere als ein Schmuckbau. Funktionaler Beton, ein paar spartanisch ausgerüstete Büros für die Verwaltung des großen Betriebes und jede Menge Parkplätze. Vier davon laut Schild wörtlich für die „Schiris“. Diese an einem Wochentag ohne Spielbetrieb einfach zu benutzen, erweist sich allerdings als gefährlich. Sagt zumindest Heiko Rauhut, der uns in der Tür des schicken Fanshops der Lausitzer Füchse freundlich begrüßt. „Stellt die Kiste mal besser da draußen vor dem Zaun neben meine, sonst kommt glei’ das Ordnungsamt.“
Wir tun brav wie geheißen und bewundern anschließend pflichtgemäß die vielen bunten Dinge, die das Herz eines Eishockeyfans höher schlagen lassen. Schals natürlich, Käppis aller Art, Shirts und Jacken, Pucks und Schoner, Lätzchen für die Kleinsten und für die Größeren sogar ein eigens gelabelter Rotwein. Im Schmuckkästchen mit zwei edlen Gläsern, natürlich aus Lausitzer Produktion. Wir sind ja in der Glasmacherstadt. Wer kauft denn das alles? „Die Fans, die Anhänger, die treuen Begleiter, ohne die ein Sportclub wie die Lausitzer Füchse nicht existieren könnte“, beteuert Rauhut. Gar nicht so wenig Geld lassen sie da, um ihre Zugehörigkeit auszudrücken und die Mannschaft zu unterstützen. 75 Euro kostet ein Fantrikot. 20 ein Füchse T-Shirt. „Ich hab’ das Design dafür gemacht, in Abstimmung mit unserem Fanartikelpartner.“ Da klingt Stolz aus der Stimme.
Im November 2017 wurde der Fanshop unmittelbar neben dem Fuchsbau eröffnet. Heiko Rauhut leitet ihn als Angestellter des Vereins von Anfang an. Der Weg dahin war kurvig. Als Knirps steht er schon auf den Schlittschuhen, spielt beim damaligen Verein Dynamo Weißwasser, träumt wie seine Kumpels von einer Profi-Karriere. Mit 17 Jahren endet der Traum. Massive Knieschäden. „Nach fünf schweren Operationen bin ich als 21jähriger an Krücken gegangen und in ein tiefes dunkles Loch gefallen.“ Nach einem Jahr rappelt er sich auf. Will nicht wie der eigene Vater enden, der sich dem Alkohol ergeben hat. „Ich hab’ ganz vorsichtig wieder mit Sport angefangen. Mich an die Trainingsgrundsätze von früher erinnert. Dass man nach Niederlagen immer wieder aufstehen muss.“
Die Kraft der positiven Gedanken richtet ihn auf. Er fährt Rennrad, spielt Hallenfußball und Tennis. Und er sieht wieder Licht am Ende des Tunnels. Eine Ausbildung zum Bürokaufmann schließt er erfolgreich ab, obwohl sein Vater vier Tage vor der mündlichen Prüfung stirbt. Er kämpft sich durch verschiedene Jobs bis er während eines Urlaubs bei Freunden in Baden-Württemberg eine Chance beim Schopf fasst. Ein Lidl-Markt soll eröffnet werden. Er bewirbt sich, bekommt sofort eine Zusage. Und zieht um. „Ich wollte mein Leben neu ordnen.“
Was folgt, ist ein kometenhafter Aufstieg vom Regaleinräumer bis zum stellvertretenden Standortleiter. Was bleibt, ist das Heimweh. Jeden Urlaub nutzt er, um Mutter, Schwester, Freunde und den geliebten Eishockeyverein zu besuchen. 2014 vertraut ihm die Lidl-Führung eine eigene Filiale mit 22 Mitarbeitern an. „Das war so ein wahnsinniger Lernprozess.“ Arbeit, Geld, Lebensstandard, alles stimmt. Nur die Familie fehlt. Er stellt einen internen Versetzungsantrag und hat Glück. Eine Filialleiterposition in Großräschen ist frei. Aus 600 Kilometern bis nach Hause werden 50.
Dann war da die Annonce. Die Lausitzer Füchse suchen einen Leiter für den Fanshop. Seine Lausitzer Füchse. Heiko Rauhut überlegt nur kurz. Am 2. November 2017 steht er reichlich aufgeregt zum ersten Mal hinter dem schicken Tresen. Ab sofort ist er verantwortlich für den Verkauf von Sport- und Fanartikeln, organisiert Autogrammstunden mit den Spielern, kümmert sich darum, dass Ausrüstungen signiert werden, betreut social media Kanäle, macht dafür permanent Fotos und kleine Filme. Kurz: er sorgt für Fannähe.
Wie fühlt es sich an, wieder in der Heimat zu sein? „Unglaublich schön. Ich hab’ sofort wieder ganz enge Freundschaften geschlossen. Die Leute, die hiergeblieben sind, freuen sich tierisch, wenn einer zurückkommt“. „Vom Angebot her vermisse ich nix. Ich hab’ mein Fitti, meine Cafés, ich geh in Konzerte, fahre mal nach Dresden und ganz oft an die Seen hier in der Gegend. Ich bin wieder in der Region, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin.“
Text: Axel Krüger | Fotos: Paul Glaser