Couchsurfen für Zelter

Zelten? Als ausgesprochener Campingmuffel denke ich dabei zuerst an wenig Komfort. Aber anschauen kann ich mir das ungewöhnliche Projekt ja mal.  

Einladend leuchten mir auf der Internetseite von 1NITE TENT (one night tent) viele kleine rote Pins auf einer Landkarte entgegen. Hinter diesen stehen nette Menschen, die ihren Garten mit anderen teilen. Neugierig klicke ich den ersten Pin an. Da wird eine „kleine weiche Wiese“ angeboten. Beim nächsten freut sich ein Hannes über jegliche Gäste und ihre Geschichten und eine Gaby darauf, viele nette, unkomplizierte Menschen kennenzulernen.  

Ein Blogeintrag berührt mich besonders. Arielle Kohlschmidt aus dem ostsächsischen Dörfchen Klein Priebus beschreibt als 1NITE TENT Gastgeberin ihr Erlebnis mit Zeltgästen: „Der Sommerurlaub der Gäste wird mitten in unserem Alltag zu unserem Urlaub.“  

1NITE TENT sammelt Plätze auf einer Landkarte. Zum Zelten. Für eine Nacht. Kostenlos. Wie kommt man auf so eine Idee? Ich bin gespannt auf das Gespräch mit Anne-Sophie Hußler und Patrick Pirl – die Gründer der Plattform 1NITE TENT.  

Wir treffen uns im Soziokulturellen Zentrum der TELUX in Weißwasser/Oberlausitz, dem jetzigen beruflichen Zuhause der beiden. Wir sind sofort per Du. Anne-Sophie ist Illustratorin und Gestalterin, Patrick von Haus aus BWLer und angehender Kulturwissenschaftler. Die beiden muss man einfach mögen. So freundlich, geerdet und unaufgeregt erzählen sie uns ihre Geschichte. 

Aufgewachsen in der Oberlausitz in Kringelsdorf und Bad Muskau, zog es Anne-Sophie und Patrick zum Studium in die Großstadt. Wichtige Stationen waren Berlin, Cottbus, Nürnberg, Hamburg und zuletzt Dresden. Dorthin, wo die Möglichkeiten unendlich erschienen. Doch die Metropole wird zunehmend eng. Mit jedem Heimaturlaub spüren sie, dass sie die Sehnsucht nach Weite zurückzieht. Sie fassen sich ein Herz und an den Händen, wagen die Rückkehr und werden angenehm überrascht. Anne-Sophie meint: „Hier haben sich die Türen geöffnet. Es war, als ob man auf uns gewartet hätte. Unsere Familie und Freunde haben sich gefreut, dass wir wieder zurückkamen. Das alles hat sich schön angefühlt.“ Schnell finden sie Anschluss und arbeiten freier, selbst mit einem kleineren Budget. 

Das ist 2 ½ Jahre her. In dieser Zeit verwirklichen sie ihre Idee vom freien Zelten, die 2015 bei einem Zelturlaub geboren wurde. Damals reisten sie für eine Woche durch Schweden und übernachteten jede Nacht anderenorts. In der Wildnis. In Skandinavien gilt das Jedermannsrecht, was es jedem erlaubt, überall sein Zelt aufzuschlagen, für eine Nacht. Begeistert erzählen sie von diesem Abenteuer und dem großen Gefühl der Freiheit. Beide sind sich einig: „Das war megaschön und es hat etwas mit uns gemacht. Wildcampen ist in Deutschland nicht erlaubt. Einfach und günstig reisen, das wollten wir auch in Deutschland – für alle.“ 

Da sie mit dem Projekt keinen Gewinn erzielen, sondern lediglich unkomplizierteres Reisen ermöglichen wollen, zog sich der Start etwas hin. Mit einer kleinen Starthilfe von „DIY. Dein Mobilitätsprojekt“ setzten sie – überzeugt und getragen von ihrer Idee – Stück für Stück ihr Projekt low budget um. Ein guter Freund programmierte die Seite und im Juli 2018 ging 1NITE TENT an den Start.  

Mittlerweile stehen 216 verschiedene Angebote in elf Ländern zur Verfügung. Letztes Jahr starteten Anne-Sophie und Patrick eine Tour durch den mittleren Osten Deutschlands und testeten ihre Idee. „Man fährt nicht einfach an einen Ort. Du lernst die Leute von dort kennen, erhältst einen Einblick in ihre Kultur, in ihr Leben. Man muss gar nicht so weit weg. Schon ein Mikroabenteuer hat einen ungeheuren Reiz“, beschreibt Patrick seine Eindrücke und Anne-Sophie fügt hinzu: „Wir haben dabei gelernt, wie viel Menschen vereint. Es ist ein Geschenk, das die Leute geben. Sie teilen ihr Grün mit dir. Es gibt einem den Glauben an die Menschlichkeit zurück.“ 

Deshalb freuen sie sich, wenn sich ihr Projekt weiter herumspricht und verbreitet. Im letzten Jahr gehörten sie zu den Preisträgern des Ideenwettbewerbs für den Tourismus in Sachsen „So geht sächsisch.“ Das haben sie sich verdient. So viel Engagement und Leidenschaft für eine Idee, die Menschen eint und Freude gibt.  

Für die Fotos gehen wir an den nahegelegenen Braunsteich. Die beiden schauen versonnen auf den See. Ein Paar, das in die gleiche Richtung blickt. Die landschaftliche Idylle verzaubert mich und inmitten der Natur und des Augenblicks begreife ich diese Begegnung als Geschenk. Das ist 1NITE TENT. Ein Geschenk. 

Nach diesem Nachmittag weiß ich, wann immer jemand in meiner Gegenwart das Wort „Zelten“ erwähnen wird, werde ich an Anne-Sophie Hußler und Patrick Pirl, an diese beiden wunderbaren Menschen denken. Und an viele liebe Leute, die für eine Nacht ihren Garten und manchmal auch ihr Herz verschenken, an Begegnung und Entschleunigung. An einen endlosen Sternenhimmel, an Lachen und schöne Gespräche am Lagerfeuer und an die kleine weiche Wiese. Ich hätte große Lust, das auszuprobieren.