In dieser Geschichte ist alles drin. Es geht um Mut, um Passion und Leidenschaft, um neue Wege und Perspektiven und darum, an sich selbst zu glauben, sich völlig neu zu erfinden. Vor allem aber ist es eine Liebesgeschichte. Nicht nur zwischen Mann und Frau, sondern auch und das ganz besonders – die Liebe zur Mutter Erde. Und um eine Liebe auf den zweiten Blick – in diesem Fall zu unserer schönen Lausitz. Als ich das erste Mal mit Jesús Hernansanz telefoniere, weiß ich nur, dass er Naturfarben verkauft. Aus seiner Stimme mit dem starken spanischen Akzent klingt die Begeisterung für das, was er macht und ein großes Herz für seine Mitmenschen und für die Natur.

Wir besuchen ihn in seinem Laden und fahren, von herrlichem Sonnenschein begleitet, Richtung Finsterwalde. Das Land wird immer flacher und der Blick weit. Angenehm für‘s Auge und überhaupt nicht finster. Mit einem herzlichen Lächeln kommt uns Jesús in seinem Laden entgegen. Ein gerader Blick. Fester Händedruck. Ein stolzer Spanier und ganz Geschäftsmann. Wir fühlen uns willkommen und schauen uns um. Der Laden ist urgemütlich eingerichtet. Ganz bewusst mit dem Flair einer alten Drogerie, erzählt er uns später. Keine kalte Baumarktatmosphäre. Hier mag man verweilen.

Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau, denke ich mir, als uns auch Sandra Junghardt herzlich begrüßt. Die gebürtige Doberlug-Kirchhainerin und Leiterin des Regionalbüros Kulturelle Bildung in Lübbenau ist die Frau an Jesús´ Seite und der eigentliche Grund, warum wir in Finsterwalde international beliebte Naturfarben kaufen können. Bei einer guten Tasse Kaffee erzählen sie uns ihre ungewöhnliche Geschichte. „Wir gehen nie den leichten Weg“, beginnt Sandra lachend.

Maler aus Malaga

Jesús Hernansanz wächst in Malaga, in Andalusien im südlichen Spanien auf. Als Kind spielt er gern am Strand, liebt das Meer, den Sand und den endlosen Himmel. Nach der Schule wird er Maler, gründet seine eigene Firma mit mehreren Mitarbeitern. Mehr als 25 Jahre ist er erfolgreich in seinem Beruf tätig, bis ihm 2008 der Wind der Veränderung Sandra Junghardt in sein bis dahin wohlgeordnetes Leben weht. Die junge lebenslustige Frau will nach ihrem Studium Spanisch als Wirtschaftssprache erlernen und absolviert deshalb ein Praktikum in Malaga. Dort sagt man ihr: „Wenn du Freitagnacht nicht ausgehst, wirst du hier an Einsamkeit sterben.“ Das möchte sie natürlich nicht. Obwohl sie die große Stadt zuerst ein bisschen einschüchtert, traut sie sich dann doch in das fröhliche Nachtleben und lernt Jesús kennen. Eine Beziehung war nie der Plan. Doch der Kontakt bleibt.

Weihnachten 2009 kommt Jesús das erste Mal nach Deutschland. Zu dieser Zeit ist in Andalusien Frühling und die Natur zeigt sich von ihrer verschwenderischen Seite. Alles grünt und blüht. Vor allem ist es warm – so um die 25 wohlige Grad. In Deutschland empfangen Jesús eine glückliche Sandra sowie frostige minus 12 Grad. Und alles grau in grau. Da helfen auch nicht Mütze, Schal und warme Handschuhe, die Sandra ihm schenkt. „In dieser Pampa will ich nicht leben“, steht für ihn fest. Also holt Jesús seine Sandra im Sommer 2010 kurzerhand nach Spanien. Es geht 3.000 km von Finsterwalde nach Malaga in einem alten kleinen Hyundai. Jesús meint damals zu ihr: „Wenn wir das zusammen durchhalten, dann hält das bei uns für eine lange Zeit.“

Sie halten noch viel mehr zusammen durch – diese beiden so lebensstarken, überaus kühnen Menschen. Ende 2011 geht es auf dem gleichen Weg zurück. Ein sehr interessantes Projekt und damit eine neue Zukunft locken in die Mongolei. Jesús gibt dafür seine Firma auf, es ist ein endgültiger Schritt. Sie kommen heil in Deutschland an, aber niemals in der Mongolei. Das Projekt scheitert.

Naturfarben aus der Lausitz

Was bleibt, ist ein mutiger Neuanfang. Jesús lernt Deutsch und arbeitet wieder als Maler. Langsam wachsen ihm auch die Menschen und die Landschaft mit ihren dichten Wäldern ans Herz. Dann der nächste Schicksalsschlag. Nach einer Knie-OP kann Jesús nicht mehr in seinem Beruf arbeiten. Was nun? „Meine berufliche Welt sind die Farben. Gestalten und Dekorieren, das ist mein Metier und wir müssen wieder zur Natur zurückkehren, um die Erde zu schützen“, meint Jesús eindringlich. Also recherchieren Jesús und Sandra und finden eine Nische – der Handel mit Naturfarben in der Lausitz – dafür musste man bisher in die großen Metropolen fahren und die Nachfrage an Biofarben wächst.

Es geht abermals auf die Schulbank. Jesús besucht Fach- und Händlerseminare zum Thema Naturfarben, absolviert mit viel Fleiß und Energie die Weiterbildung zum Baubiologen. Sein Geschäft öffnet im Mai 2018. Für Jesús beginnt ein neues Leben, welches er mit seiner ganzen Begeisterung und Leidenschaft füllt. Er gibt Workshops, berät Firmen und Familien, die ihre Wohnungen mit gesunden Farben streichen wollen. Sandra ist immer an seiner Seite. Die Kundschaft wächst von Jahr zu Jahr. Die Entscheidung war goldrichtig. Das Schicksal hat einen guten Dienst geleistet. Vielleicht auch, weil Jesús sich selbst und seiner Sandra treu geblieben ist. „Du musst lernen, was dich glücklich macht“, so sein Credo. Deshalb steht auch schon die Ausbildung zum Raumgestalter auf seiner to-do-Liste.

Zum Schluss gibt uns Jesús noch mit auf den Weg: „Wir haben nur eine Erde. Sie ist unsere Heimat. Wir können nicht einfach auf einen anderen Planeten umziehen. Darum sollten wir uns um sie kümmern und darauf achten, nicht noch mehr Schaden zu verursachen.“

Zu Hause angekommen, schaue ich mir unsere Wände an. Wir müssen mal wieder streichen. Aber nur noch mit Naturfarben. „Warum?“ fragt mein Mann. Na, weil es um die Liebe geht. Darum geht es doch letztendlich immer, oder?

Text: Berit Adomßent | Fotos: Paul Glaser