Als die Grenzen auf waren und die Schule vorbei, da wollten Ina Lachmann und Henry Hedrich nur eins: reisen. Das Radeberger Mädchen und der Junge aus Pulsnitz träumten von der Welt, von exotischen Ländern und fremden Kontinenten. Mit einem Interrail-Ticket ging das Paar auf seine erste große Tour und fing sich gleich einen Virus ein. Fernweh hieß der. In Ina schlummerte der schon, seit der Opa aus der BRD immer mal wieder eine „Hörzu“ in’s Westpäckel gelegt hatte. Dass die bunten Tropenbilder mit den fröhlich tanzenden Eingeborenen nicht ganz der Wirklichkeit entsprachen, ahnte sie als Kind noch nicht.
„Die letzten Schuljahre“, erinnert sich die elegante Hotelchefin bei einem Espresso mit Blick auf den bewegten Berzdorfer See „waren seltsam. Das ist nun über 20 Jahre her. Ganz viele unserer Lehrer waren weg. Das war eine harte Zeit.“ Wie viele andere hatten die beiden das Gefühl, nach dem merkwürdigen Vakuum erstmal zu sich selbst finden zu müssen. In München verdienten sie sich das Geld für den nächsten Trip zusammen. Für ein halbes Jahr wollten sie nach Afrika. Was sie dort, neben all der Exotik, an Armut und Elend sahen, gab ihnen den Impuls für ihren weiteren Weg. Ina schreibt sich nach der Rückkehr an der Leipziger Handelshochschule für internationale Betriebswirtschaftslehre ein, „um die Welt zu verbessern.“ Für Henry war aus dem gleichen Grund klar, dass er Arzt wird. Ehrgeizig ziehen sie ihr Studium durch und haben schon damals eine ganz bestimmte Idee.
„Wenn es sehr anstrengend war, hat uns immer die Nähe von Wasser zur Ruhe gebracht. Wir hatten einen gemeinsamen Traum. Wir wollten eines Tages einen ganz besonderen Ort am Wasser schaffen.“ Ina steigt nach dem Studienabschluss als Trainee bei Bosch ein, arbeitet sich hoch bis zur Projektmanagerin. „Das ist mein Ding. Hochkomplexe Aufgaben mit knappen Ressourcen stemmen. Und sofort wieder etwas Neues auf dem Tisch zu haben. Ich mag Herausforderungen.“ Henry arbeitet als angestellter Internist in verschiedenen Kliniken. Im Rahmen einer Zusatzausbildung zum Gesundheitsökonom beschäftigt er sich mit wirtschaftlichen Zusammenhängen. Was sich für das Hotelprojekt später als sehr wertvoll erweisen wird.
In den nächsten Jahren sehen sie sich in mehreren Ländern geeignete Plätze an Seen, an Flüssen, am Meer an, sprechen mit den Menschen vor Ort über ihre Idee. Und kommen doch für ihr Gefühl nicht wirklich richtig damit an. „Klar, der wirtschaftliche Effekt wurde schon wahrgenommen. Aber wir selbst sind mit dem kühlen Begriff Investor nie glücklich gewesen. Es war doch vielmehr ein Herzensprojekt.“
Dann wird die alte Heimat wieder zum Thema. Der Wunsch nach Kindern stärkt den Gedanken, sich in vertrautes Terrain zu begeben. Ina und Henry sehen sich Wassergrundstücke in ganz Deutschland an. „Im Westen hatten wir das Gefühl, dass alles schon fertig ist. Da brauchte uns niemand, da waren nur Baulücken zu füllen.“ Selbst Leipzig mit dem schon gut entwickelten Cospudener See bot zu wenig Gestaltungsfreiraum. Im Frühjahr 2008 stehen sie bei eisigen Temperaturen am Rand des riesigen Tagebaulochs vor den Toren von Görlitz.
„Hier war noch nichts, hier war noch keine See-Seele, die andere geformt hätten. Wir haben gespürt, dass das der Platz ist, wo wir uns entfalten können.“ Auch die Nähe einer Stadt war beiden wichtig, mit Schulen, Kultur. Und mit Menschen, die einen guten Hausarzt brauchten. Im Görlitzer Rathaus stießen sie auf offene Ohren. „Ja, wir suchen Leute, die sich am See engagieren, macht mal los“, hieß es dort. „Wir haben uns sofort an den Businessplan gesetzt, die wirtschaftlich optimale Größe für ein Hotel nach unserer Vorstellung errechnet, Kosten kalkuliert.“ Anfangs machen das die beiden noch aus der Ferne. 2011 zieht die junge Familie dann in die Neißestadt. Henry Hedrich sucht gezielt nach einer Hausarztpraxis, in die er als Partner einsteigen kann. Ihn treibt der Wunsch, mehr Einfluss auf das Gesundheitsverhalten seiner Patienten nehmen zu können. Bei Ina Lachmann kündigt sich inzwischen das zweite Kind an. „Henry und unser Architekt Wolfgang Kück saßen in der Zeit Nacht für Nacht über den Plänen. Ich war mit den Kindern gut beschäftigt.“ Der Dank über das, was ihr Mann in diesen Monaten geleistet hat, ist ihr deutlich anzusehen.
Es folgen zahlreiche Sitzungen mit dem Planungsverband und der LMBV als Grundstückseigner. „Es gab keine Vorbilder an dieser Stelle. Wir haben insgesamt mit 33 Ämtern verhandelt, für die war das auch Neuland. Das frisst Zeit.“ Ein Grundstück zu kaufen, das unter Bergbaurecht steht, sei „sehr speziell“ sagt Ina Lachmann. Ihr Blick lässt nur erahnen, was das bedeutet. Kaum eine Bank lasse sich auf so etwas ein. Mehr als einmal haben sie und ihr Mann gehört: „Und was ist, wenn da was in`s Rutschen kommt?“ Also sind die beiden vorfristig in die Kosten gegangen. Haben Planungen und Bodenuntersuchungen bezahlt, bevor der Kredit dann doch endlich kam. „Einen klassischen Investor schrecken solche unklaren Bedingungen ab. Der verhandelt nicht zwei Jahre lang in`s Blaue, dann ist er mitsamt seinem Geld längst woanders.“ Für die weitere Entwicklung am See sei das eine große Hürde. Insgesamt sind fünf lange und intensive Planungs-, und Genehmigungs-Jahre mit vielen Höhen und Tiefen vergangen bis der erste Spatenstich gesetzt werden konnte.
Als sie am 13. Juli 2018 ihr Hotel „Insel der Sinne“ mit zahlreichen begeisterten Gästen eröffnen, sind all die Zweifler vergessen, die während der Bauphase geunkt hatten, dass das nichts werden kann. Auch die Kritik, dass genau hier jetzt nicht mehr jedermann baden gehen könne, ist angesichts der 17 Kilometer langen Uferlinie verstummt. 45 Mitarbeiter sorgen im Hotel für das Wohl der Gäste. Die Köche könnten, wenn sie Zeit hätten, aus einem Panoramafenster die Segelboote vorbeiziehen sehen. Im Internet reiht sich eine gute Bewertung an die andere.
Das schönste Kompliment aber, so meint Ina Lachmann abschließend, kam von einer älteren Dame „Wir hatten allen im Landkreis Görlitz Wohnenden angeboten, für die Hälfte des Preises bei uns zu übernachten. 140 Gäste haben das im Aktionszeitraum von zwei Wochen angenommen.“ Die alte Dame war auch dabei und sagte beim Abschied: „Ich war eine von denen, die rumgemeckert hat, warum so ein hässlicher Betonklotz an den See gebaut wird. Jetzt bin ich so stolz und dankbar, dass es sie gibt.“
Aus dem „Betonklotz“ der Rohbauphase ist ein Gebäude geworden, das sich durch seine Holzverkleidung auf eine feine Art zurücknimmt, das sich in die Natur einpasst und seinen Gästen einen weiten Blick über den See gewährt. Die hellen Räume strahlen Ruhe aus, nichts lenkt den Blick von Naturfarben und Naturmaterialien ab. Es ist tatsächlich ein Ort zum Loslassen und bei sich Ankommen geworden. So wie es Ina und Henry auf Ihren Reisen erträumt haben.
Nachtrag: als der Bericht bereits geschrieben war, kam eine lange Mail von Ina Lachmann, in der sie darauf hinwies, wie einmalig sie es fände, dass nahezu alle Dienstleistungen, vom Architekt über sämtliche Baufirmen, Planer und Statiker bis zum Gärtner und der Designerin des Hotellogos aus der Region kämen. Das sollten wir doch unbedingt noch mit reinpacken. Gerne, Frau Lachmann.
Text: Axel Krüger | Fotos: Paul Glaser