Tim Mergelsberg ist ein herrlich unaufgeregter Mensch, dafür, dass er doch etwas ziemlich Spektakuläres macht. Vielleicht sind es die Weiten Sibiriens, die den Unternehmer so ruhig haben werden lassen. Dort, in Sibirien, im Dörfchen Istok, nicht weit vom Baikalsee entfernt, hat er nach dem Abitur seinen Zivildienst absolviert. Die Ferne des Ostens hat ihn, den jungen Kerl aus dem Westen, gereizt. Das Abenteuer? „Na vielleicht mehr das Unbekannte. Nach dem Reaktor-Unglück in Tschernobyl kamen in meinem Umfeld immer öfter Ost-West-Themen zur Sprache. Da kam bei mir die Idee auf, das alles vor Ort zu erkunden.“

Gerade einmal zwei Wochen lang hat er vor der Abreise einen Russischkurs belegt, „den Rest hat der Alltag mir beigebracht“. Der Alltag – das war die Arbeit in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Und die Freizeit in einer absolut fantastischen Landschaft. „Alleine der unglaublich schöne Baikalsee“, schwärmt er heute noch. Von komplett vereist bis zu karibikfarben hat er ihn erlebt und erfahren, wie sehr diese Tiefe die Menschen berührt.

Und dann war da noch die Rinde. „In Sibirien hat die Verarbeitung von Birkenrinde eine lange Tradition. Ich habe auf der Suche nach Tätigkeitsfeldern für unsere Einrichtung Familien kennengelernt, die hauptsächlich davon lebten, die Rinde, das Abfallprodukt der Holzgewinnung, zu vielen nützlichen Alltagsutensilien zu verarbeiten.“ Mergelsberg verlängert den Zivildienst, besorgt aus Deutschland Maschinen und baut eine erste Produktion auf.

Vor allem Vorratsdosen sind es, für die sich die Birkenrinde bestens eignet. „Sie enthält ätherische Öle, wirkt antibakteriell und antiseptisch, beugt damit Schimmelbildung vor, ist bei entsprechender Verarbeitung wasser- und luftdicht. Ein geniales Naturprodukt.“ In der Taiga werden die Gefäße kunstvoll verziert für die Aufbewahrung von Brot genutzt, als Tee- und Kaffeedosen, für Salz, Zucker, Kräuter und Trockenfrüchte. „Wir mussten sie für den deutschen Markt allerdings ein bisschen entkitschen“, sagt Mergelsberg mit einem entschuldigendem Unterton.

Einem seiner Hersteller, dessen Familie bisher von der Hand in den Mund lebte, finanzierte er mit der inzwischen gegründeten Vertriebsfirma sagaan die gesamte geplante Jahresproduktion vor, ermöglichte ihm so, ein Haus zu kaufen und stabil liefern zu können. „Die Familie ist heute unser Hauptlieferant. Und sie hat noch Wachstumspotenzial. Aber organisch sollen sie wachsen, nicht durch Finanzinvestoren künstlich angeheizt.“

Sagaan war und ist in seinem Rahmen erfolgreich, darauf ist Tim Mergelsberg sichtlich stolz. Jetzt will er aber einen deutlichen Schritt nach vorne machen. Mit nevi, seiner nächsten Firma. Wobei „seiner“ nur bedingt stimmt.

Das Unternehmen hat inhaltlich zum Ziel, Birkenrinde maschinell so zu bearbeiten, dass sie vor allem in Nassbereichen wie Duschen oder Saunen als Oberflächenbelag verwendet werden kann, mit all ihren günstigen Eigenschaften. Die Verklebung zum Furnier soll nicht wie üblich mit Epoxidharz erfolgen, für dessen Herstellung Mineralöl gebraucht wird. Der Gründer forscht gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut in Halle an einem Klebemittel aus nachwachsenden Rohstoffen. Und ist dabei schon ziemlich weit. Auch für Auto-Armaturen und jegliche Art von Griffummantelungen sei das Produkt ideal.

„Cradle to cradle“ (Von der Wiege zur Wiege) bezeichnet diesen Gedanken einer vollständigen Kreislaufwirtschaft. „Wir entnehmen nichts aus der Natur, was wir ihr nicht zurückgeben.“ Momentan experimentiere man mit Drachenkopföl, gewonnen aus einer ziemlich hitzeresistenten Pflanze, die wenig Wasser verbraucht.

Die Eigentümerstruktur ist der zweite Punkt, an dem nevi sich auf Neuland bewegt. „Wir wollen Teil der Purpose-Entwicklung sein. Das Unternehmen wird stets denen gehören, die für es arbeiten. Wer es verlässt, gibt seine Anteile und Stimmrechte zurück. Wir sind damit gefeit vor dem Einfluss von Investoren, die uns nur als Spekulationsobjekt sehen. Und bestenfalls ein Ziel für Investoren, die nach einem echten Sinn für ihre Anlage suchen.“

Im Herbst fängt eine neue Kollegin an. Sie zieht aus Berlin ins beschauliche Görlitz und soll den Vertrieb aufbauen. „Zum Glück haben wir unser junges Unternehmen an einem sehr lässigen und fast urbanen Görlitzer Standort angesiedelt, einem ehemaligen Kühlhaus mit total inspirierenden Menschen.“ Dort will er bald zehn Mitarbeiter beschäftigen. „Auf Produktmessen werden wir regelrecht gestürmt. Der Markt schreit nach Innovationen, die petrochemische Produkte ersetzen. Da sehe ich sehr viel Platz für uns.“

Text: Axel Krüger | Fotos: Paul Glaser