Kennen Sie das auch? Dass Sie bei bestimmten Namen sofort eine Assoziation haben? Mit FANNY etwa verbinde ich die Abrafaxe aus dem MOSAIK. Die DDR-Comiclegenden trafen 1980 bei ihren Reisen auf Knödel-Fanny, eine begnadete Künstlerin am Herd. Heute muss ich wieder an die Abrafaxe denken. Denn ich bin mit Fotograf Paul Glaser auf dem Weg zu Fanny Bracke. Auch eine begnadete Künstlerin. Betreibt im Städtchen Reichenbach bei Görlitz eine Intarsienmanufaktur. Intarsien sind Einlegearbeiten, die ein Muster oder ein Bild ergeben. Fanny verwendet dafür hauptsächlich dünne Holzblätter, auch Furniere genannt.
Wir treffen sie im Atelier Nr. 7. Ein reiner Frauenbetrieb. Neben der Intarsienmanufaktur beherbergt das Haus die Serokreativwerkstatt von Mama Silvia. Für Leser*innen aus den älteren Ländern: SERO war in der DDR die Sammelbezeichnung für Flaschen, Gläser, Altpapier, also Sekundärrohstoffe. Auf neudeutsch upcycelt Sylvia. Zu Füßen der beiden Chefinnen liegt Raja, ein Labrador-Ridgeback-Mischling. Die achtjährige Hundedame nimmt kaum Notiz von Paul und mir. Offenbar macht unser Anblick sie direkt schläfrig. Hellwach ist dagegen die Vierte im Bunde: Oksana Illner, die Auszubildende. Sie hat heute ihren zweiten Ausbildungstag. Dass eine Einzelunternehmerin ausbildet, ist eher selten. Als sich Fanny Bracke 2017 selbständig machte, stand das auch nicht auf dem Plan. Aber wie manchmal der Zufall spielt: Oksana war aus Süddeutschland in den Raum Bautzen zurückgekehrt und etwas unschlüssig, was das weitere Berufsleben angeht. Erste Erfahrungen im Tischlerhandwerk hatte sie schon gesammelt, aber es fehlte ihr an Abwechslung, an Kreativität. Da die Lausitz ein Dorf ist, kannte jemand aus ihrem Umfeld Fanny Bracke und so stand Oksana plötzlich vor ihrer Tür. „Die Chemie hat gestimmt, Oksana sich im Praktikum geschickt angestellt – da habe ich mir gesagt: Warum eigentlich nicht ausbilden?“ Fanny Bracke machte direkt die Ausbildereignungsprüfung und hat nun ihre erste Azubi. „Es fühlt sich sehr gut an, ein kleines Team zu haben. Für das Geschäft ist es hilfreich. Ich habe mehr Zeit für Marketing und Buchhaltung. Und junges Blut bewahrt die traditionsreiche Intarsienkunst vor dem Aussterben.“
Alleine unter Männern
Fanny Bracke selbst lernte nach ihrem Abitur den Beruf der Tischlerin. Als einzige Frau in der Klasse. Während der Ausbildung kam sie in Berührung mit der Intarsienkunst. Es war Liebe auf den ersten Blick. „Die Möbel- und Kunsttischlerei, das Entwerfen von eigenen Produkten und Gestaltungsformen hat mir von Anfang an sehr gut gefallen. Nach einigen Semestern Design-Studium konnte ich mich bei verschiedenen Intarsienkünstlern weiterbilden.“ Sie kehrte zurück in die Oberlausitz und eröffnete 2017 ihr Atelier, in dem handgefertigte Einzelstücke im modernen Design entstehen. Möbel und Leuchten, Schmuck und Schatullen, Holzfliegen und Taschen, Etuis und noch vieles mehr. Jedes Produkt zeichnet sich durch ein individuelles Design und besonderes Holzmuster aus. Statt Holz könnte Fanny auch andere Werkstoffe nutzen. Die kommen ihr aber nicht ins Atelier. „Holz lebt. Holz duftet. Dieser Werkstoff verkörpert für mich Wärme und Beständigkeit. Jeder Baum ist einzigartig, jeder Stamm ist anders gewachsen, jedes Furnier hat eine eigene Struktur. Ich genieße es, in meiner Arbeit meine Liebe zum Holz und meine Leidenschaft für Harmonie und Ästhetik mit Kreativität zu verbinden.“
Diese Liebe und ihre Erfahrung gibt sie nun weiter. Offensichtlich sehr erfolgreich. Oksana ist schon im Intarsienflow und schaut nicht einmal von ihrem Werkstück auf, während ich versuche, sie mit neugierigen Fragen abzulenken. Die junge Frau scheint die perfekten Eigenschaften für das Kunsthandwerk mitzubringen: Geduld, Ruhe, Sorgfalt, Genauigkeit, mit einem kleinen Hang zum Perfektionismus. Die Holzblätter sind sehr dünn, man braucht viel Feingefühl. Vergleichbar mit einem großen Puzzle. Es dauert, bis ein Stück fertig ist. Manchmal mehrere Wochen. „Intarsien herstellen ist wie meditieren“, sagt Oksana in die Stille. „Jede Handbewegung verändert das Stück. Ich mag diese Verbindung von Handwerk, Kunst und Kreativität.“ Intarsien und Oksana – das wird eine große Liebesgeschichte. Hofft auch Fanny Bracke. Die nicht zum Spaß ausbildet, sondern Oksana als Gesellin übernehmen möchte. Schließlich soll die Intarsienmanufaktur weiter wachsen. Für 2020 stand ursprünglich auf dem Plan, den süddeutschen Raum zu erobern. Messeteilnahmen in München standen schon im Kalender. Dann kam das Virus und für Fanny die Frage: Wie nutze ich diese Zeit ohne die so wichtigen direkten Kontakte zu potenziellen Kunden? Neben dem Thema Berufsausbildung widmete sich die Designhandwerkerin dem Online-Handel. Der Internetauftritt wurde erneuert, Technik angeschafft, um die guten Stücke professionell in Szene zu setzen. Es kommt schon jede Menge Arbeit zusammen im kleinen Team der Intarsienmanufaktur. Fanny Bracke achtet darauf, dass das eigene Energie-Level immer in Balance bleibt. An dieser Stelle kommt Raja ins Spiel. Jeden Nachmittag schiebt Fanny die Werkzeuge beiseite und geht mit ihrer Hündin ins Grüne. „Es ist für mich Luxus, dass ich hier in der Lausitz nach meinem eigenen Rhythmus leben kann.“ Das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Ausgleich zur konzentrierten Arbeit findet Fanny beim Tanzen. Vorzugsweise Tango Argentino. „Da kann ich total abschalten, bin im Rhythmus und in der Kommunikation mit meinen Tanzpartnern.“ Leider kam auch dieses Hobby in den letzten Monaten arg kurz…
Gekommen, um zu bleiben
Nach einem ersten Beitrag in der Sächsischen Zeitung 2016 interessierten sich viele Journalisten und Bloggerinnen für die Geschichte von Fanny Bracke. Rückkehrerin, Unternehmerin und das auch noch in der Männerdomäne Handwerk. Heute sieht sie sich nicht mehr als Rückkehrerin. Dafür sind die Wurzeln viel zu tief im Lausitzer Boden. „Ich bin wahnsinnig glücklich, wieder in der Oberlausitz zu sein und habe die Entscheidung an keinem einzigen Tag bereut. Es fühlt sich vollkommen an. Der familiäre Background, die eigenen Wurzeln sind wichtig. Meine Zweifel sind komplett verschwunden, seitdem ich wieder hier bin. Ich fühle mich der Region verbunden, kenne mich hier aus, es ist eine Vertrautheit da. Dennoch ist viel Neues und Schönes in der letzten Zeit entstanden in Görlitz und Umgebung. Man sieht, wie gut sich die Region entwickelt und ich freue mich, ein Teil davon zu ein.“ Beim Ankommen in der alten neuen Heimat haben ihr Netzwerke extrem geholfen. Raumpioniere, Neugeister, Wirtschaftsjunioren, Unternehmerverband, Kreatives Sachsen und Kreative Lausitz – Fanny sagt, dass sie keinen Vergleich zu anderen Regionen habe, aber es sei ihr positiv aufgefallen, wie stark sich die Leute in der Region unterstützen. Zu Beginn ihrer Selbständigkeit gab es viele gute Ratschläge und Motivation, wenn große Steine im Weg lagen. „Das hat sich gewandelt. Ich fühle mich jetzt als Teil des Ganzen, werde angesprochen und empfohlen, was natürlich für das Unternehmen sehr wertvoll ist.“
Ein bisschen ist die Arbeit von Fanny Bracke vergleichbar mit dem Wandlungsprozess, in dem sich die Lausitz befindet. Es braucht zunächst einen fundierten Plan. Was soll entstehen? Was brauche ich dafür? Die anschließende Arbeit mit den sensiblen Materialien erfordert Sorgfalt, Achtsamkeit und Hingabe. Es geht weder um Massenprodukte noch um Schnelligkeit – es geht um Qualität und Einzigartigkeit.
Text: Mike Altmann | Fotos: Paul Glaser