„Ich wollte nur mal gucken, was aus dem alten Böttger-Haus geworden ist.“ Die Spontanbesucherin kommt aus ihrer Wahlheimat Schweiz nach Finsterwalde und schnell ins Gespräch mit Stephanie Auras-Lehmann, einer der Hausherrinnen im Ladengeschäft von „Comeback Elbe-Elster“. Wo es früher Polster, Gardinen und andere Mangelwaren gab, ist seit 2016 Heimat im Angebot. Beratung für Rückkehrer und Zuzügler, Arbeitsplätze im Schaufenster, Flächen für regionale Angebote und viel Empathie.
Als Stephanie Auras-Lehmann 2009 New York verließ und dem Ruf der Liebe in die alte Heimat Finsterwalde folgte, hatte es die Touristik-Betriebswirtin schwer, beruflich Fuß zu fassen. Sie schlug sich als freiberufliche Gästeführerin bei den IBA-Terrassen Großräschen durch. Nach 145 erfolglosen Bewerbungen wechselte sie die Branche. Stephanie heuerte beim „Generationen gehen gemeinsam (G3) e.V.“ an, wo sie Arbeitslose und Betriebe zusammenbrachte. Gleichzeitig meldeten sich immer mehr Freunde bei ihr, die ebenfalls Heimweh verspürten: Wie hast du die Rückkehr erfolgreich gemeistert? Stephanie beschloss, ihre Erfahrungen weiterzugeben und wird Heimkehragentin. Eine echte Pionierleistung. 2009 betrug die Arbeitslosenquote in Elbe-Elster über 16 Prozent. Von Rückkehrern redete niemand. Große Teile Ostdeutschlands verharrten in einer Schockstarre, fühlten sich als das hässliche Entlein im Schwanenteich. Was haben wir schon zu bieten? „Jede Menge“, fand Stephanie schon 2009 mit ihrem weitgereisten Blick und legte einfach los. Komplett ehrenamtlich beriet sie potenzielle Rückkehrer im eigenen Wohnzimmer.
Zehn Sorten Brot. Super!
2012 kam eine Facebookseite hinzu mit Informationen zum regionalen Arbeitsmarkt, Kinderbetreuung und Freizeitmöglichkeiten. Sie lud Rückkehrer und „Neue“ zu ersten Treffen ein. Sandra Spletzer ging hin. Nach sieben Jahren Arbeiten und Studieren in Schottland, Irland und Lateinamerika hatte sie ihre alte Heimat mit ganz neuen Augen wiederentdeckt. „Kies-See, Radwege, zehn Sorten Brot. Super!“ Sie kehrte zurück. Statt Edinburgh und Dublin, Bad Liebenwerda und Finsterwalde. „Es war ein Gefühl von Angekommensein. Ich reise zwar immer noch gern, habe aber nicht mehr das Bedürfnis, wegziehen zu wollen. Und wenn mir die Provinz mal zu eng wird, sind Berlin, Dresden und Leipzig nicht weit.“ Oft ist Sandra auch in der Oberlausitz unterwegs. Ihr Partner stammt aus Weißwasser.
Sie gründete einen Spanisch-Stammtisch. Der lief allerdings mehr schlecht als recht, weil im Elbe-Elster-Kreis manchem einiges Spanisch vorkommt, aber nur sehr wenige die Sprache sprechen. Warum also nicht mit anderen Rückkehrerinnen und Rückkehrern treffen? Dass daraus ein paar Jahre später eine leidenschaftliche Berufstätigkeit wird, konnte 2012 noch niemand ahnen. Eines spürte Sandra Spletzer aber schon damals: „Die Lobbyarbeit von Stephanie sorgt für einen Stimmungsumschwung. Ich habe die Vorbehalte gegenüber Zurückgekehrten noch am eigenen Leib gespürt. Nichts geworden? Was willst du denn hier, hier gibt’s doch nichts… Es wurde alles am Job festgemacht, als ob das das einzige Kriterium im Leben sei. Stephanie hat auf die schlechte Stimmung mit positiven Geschichten geantwortet. Es ist schön hier. Guckt doch richtig hin.“
Woidke und der Pop up Store
Stephanie Auras-Lehmann hatte zwar lokal auf sich aufmerksam gemacht, Geld war aber immer noch nicht in Sicht, obwohl der G3 e.V. das Projekt in sein Portfolio aufgenommen hatte. Der Durchbruch kam 2016. „Wir müssen der Initiative ‚Comeback Elbe-Elster‘ ein Gesicht, einen Ort geben.“ Es entstand, aus Spenden finanziert, ein Ladengeschäft im Herzen von Fiwa, wie die einheimischen Liebhaber von Abkürzungen die Sängerstadt nennen. Zunächst nur als temporärer Ort gedacht. Pop Up Store heißt das heutzutage. Als die Spendengelder fast aufgebraucht waren und die Schließung schon beschlossene Sache schien, besuchte Ministerpräsidenten Woidke den Rückkehrer-Laden. Vermutlich sorgten das Herzblut und die Leidenschaft der Heimkehr-Agentinnen dafür, dass wenig später ein Förderprogramm für Rückkehrer und Zuzügler aufgelegt wurde. Sieben Jahre Ehrenamt hatten sich ausgezahlt. Die Politik entdeckte Rückkehrer und öffnete den Fördertopf. Der Laden war gerettet. Co-Working-Space, Heimatladen, Willkommens-Agentur. Drei Bereiche unter einem Dach. Die Einheimischen nahmen es zunächst kritisch auf. „Warum wird das gefördert? Hier sitzen die Leute am Laptop rum und produzieren nichts.“ Nach den Skeptikern kamen die Neugierigen. Die Idee ging allmählich auf. Man wurde Anlaufstelle für Eltern, Omas, Opas, Tanten und Onkel, die sich für diejenigen erkundigten, die sie gern aus der Ferne zurückholen wollten.
Disc-Golf in der Bürgerheide
Mit der Förderung professionalisierte sich die Arbeit weiter. Es gab Studien, eine Datenbank, ein größeres Team. Was sich nicht änderte: die individuelle Beratung mit Herz. „Wir sind Lotsen, Insider, Kümmerer“, sagen Stephanie und Sandra über ihre Arbeit. Sie pfeifen auf Konventionen. Lebenslauf? Nett, aber kein Dogma. Nicht jede Marketingfachfrau muss ihr Leben lang in einer PR-Abteilung arbeiten. Nach einer Beratung in Finsterwalde wird Stoffwindeldesignen vom Hobby zum freien Beruf. Der Pendler, der als Personalchef in Dresden 300 Leute führte, übernimmt demnächst ein Unternehmen, weil es in Elbe-Elster keine passenden Stellen gibt und er mit seiner Erfahrung als Personalsachbearbeiter in der Verwaltung verschenkt wäre. „Man darf Rückkehrer und Zuzügler aber nicht nur als Fachkräfte sehen“, sagt Stephanie Auras-Lehmann. Die Neuen bringen schließlich abseits von Arbeit vieles in die Region ein. Wie die Disc-Golf-Anlage in der Bürgerheide. Auf einer 18 Bahnen umfassenden Anlage kann man frisbeeähnliche Scheiben in Körbe befördern. Mitgebracht haben den Trendsport Rückkehrer. Mehrere Jahre kämpften sie dafür, dass die nicht ganz billige Anlage vom Stadtrat bewilligt wird. „Die Leute bringen ihren Bedarf aus den Großstädten mit. Gibt es etwas nicht, wird es selbst gemacht. Deshalb hat Finsterwalde nun ein Restaurant mit veganem Essen und eine Theatergruppe.“
Stephanie sieht zufrieden aus. Als sie 2009 in ihrem Wohnzimmer anfing, hatte sie eine Beratung pro Quartal. Mittlerweile gibt es in Stoßzeiten täglich eine Anfrage. Meist an einer klassischen Lebenskreuzung: Geburt der Kinder, Einschulung, das geerbte Häuschen. Komplett geändert hat sich das Profil der Interessenten. Die Rückkehrer und Zuzügler haben fundierte Pläne, meist schon einen festen Umzugstermin und benötigen noch Unterstützung. Mal ist es der Arbeitsplatz für den Partner, mal die passende Schule für den Nachwuchs. Teilweise wird’s knifflig. Wenn die Zuzügler aus der Schweiz fragen, ob sie ihre Waffensammlung mitbringen können. Oder nach einem Rugby-Team für den Sprößling gesucht wird. Hin und wieder sei bei Mama und Papa Panik im Blick, grinst Stephanie: „Oh Gott, mein Kind singt jetzt nur noch in der Kreismusikschule und nicht mehr bei den Domspatzen. Ich tröste sie dann damit, dass wir hier auch gute Lehrer haben.“
Von Fiwa lernen
Mit der finanziellen Förderung konnte „Comeback Elbe-Elster“ auch Erfahrungen weitergeben. Ein Netzwerk von Rückkehrer- und Zuzügler-Initiativen wurde unter dem Namen „Ankommen in Brandenburg“ unter Finsterwalder Führung aufgebaut. Zunächst mit drei Gründungsmitgliedern. Neben „Comeback Elbe-Elster“ waren das die Willkommens-Agentur Uckermark und der Wachstumskern Autobahndreieck Wittstock-Dosse e. V. (Da dieser Name für sprachbequeme Brandenburger deutliche Überlänge hat, heißt der Verein WADWD e.V.). Mittlerweile gibt es viele dieser Angebote, auch in Spremberg, Guben und Cottbus. Im Netzwerk tauscht man sich aus. Profitiert voneinander. Trommelt für Brandenburg und die Lausitz. Was hat funktioniert, welchen Fehler muss man kein zweites Mal machen? Was funktioniert, wird übernommen und regional angepasst. Dazu zählen Postkartenaktionen und Informationsportale. Auf denen offensiv mit Leerstand geworben wird. Der Riese Berlin lässt seinen Speckgürtel immer weiter wachsen, was der Elbe-Elster-Kreis und auch die anderen peripheren Regionen nach und nach spüren. Seitdem Doberlug-Kirchhain (im brandenburgischen Kurzsprech DoKi) eine IC-Anbindung hat und man nur noch eine gute Stunde in die Hauptstadt braucht, gibt es einen regelrechten Ansturm. Auch Stephanie Auras-Lehmann ist von Fiwa nach DoKi gezogen. „Verkehrsanbindung übersetzt sich direkt in Leerstandsbeseitigung.“ Das ist einer der prägnanten Sätze von Sandra Spletzer, mit denen sie regelmäßig in der Staatskanzlei im Rahmen der Netzwerkkoordination aus der Praxis berichtet. Zusätzlich brauche es digitale Infrastruktur, verlässliche Gesundheitsversorgung, unterschiedliche Schulformen und Bildungsangebote. Das A und O bleibe der attraktive Arbeitsplatz. „Das Gehaltsgefälle ist nach wie vor enorm, der Osten holt auch nicht entscheidend auf“, so ihre Analyse. „Es braucht außerdem mehr familienfreundliche Arbeitszeiten und Möglichkeiten für Home Office, da die Zuzügler aus Ballungsräumen das kennen und schätzen gelernt haben. Damit kann man Gehaltsunterschiede teilweise ausgleichen.“
Neben der brandenburgischen Landesregierung unterstützt auch die Robert-Bosch-Stiftung das Rückkehrer-Netzwerk. Plötzlich konnte man als „Neulandgewinner“ mit der größten deutschen Stiftung kooperieren. Neben der Arbeit vor Ort betreut Stephanie Auras-Lehmann mittlerweile ein weiteres Projekt. „Hüben wie drüben“ heißt es und bringt ostdeutsche und westdeutsche Erfahrungswelten zusammen. Was 2009 als Ehrenamt in einem Wohnzimmer in Finsterwalde begann, führt Stephanie ein Jahrzehnt später beruflich durch die Lausitz, Brandenburg und ganz Deutschland. Sie wird sich ebenso wie Sandra weiter für ihre Heimat ins Zeug legen. Der Strukturwandel bietet dafür neue Möglichkeiten. Die Frauen wünschen sich von der Politik „einfache Richtlinien für Förderungen, damit es für Startups nicht so kompliziert wird. Es sollte nicht mehr so lange dauern, dass man gute Ideen unterstützt. Zeit ist Geld.“ Und noch etwas haben sie auf dem Herzen für eine gute Lausitzer Zukunft: „Die Macher müssen jünger und weiblicher werden.“
Text: Mike Altmann | Fotos: Paul Glaser