Am Bahnhof in Cottbus begrüßen uns zwei gutgelaunte junge Frauen. Josefine Martha Pritschkoleit und Dr. Jadranka Halilović haben sich mit weiteren engagierten und kreativen Menschen Großes vorgenommen. Mit der Gründung einer freien Schule wollen sie die Bildungslandschaft in Brandenburg ergänzen. Wir fahren gemeinsam in die Altstadt und treffen in einem Café die Theaterpädagogin Karoline Durdis und die Pädagogin Nicole Kalz. 

„Genau vor einem Jahr haben wir uns zum ersten Ideentreff verabredet“ bemerkt Josefine lächelnd in die Runde. Der Gedanke einer freien Schule spukte der Betriebswirtin und Mutter schon seit längerem im Kopf herum. Durch eine Annonce in den eBay-Kleinanzeigen, die eine schöne alte Schule anbot, fiel für sie der innere Startschuss. Ob es das Objekt wird oder nicht, steht noch in den Sternen. Mitstreiter*innen wurden aber schnell gefunden und so sitzen wir in einer interessanten Gesprächsrunde mit vielfältigen Kompetenzen und Erfahrungen zusammen. „Ein multiprofessionelles Team“ ergänzt Nicole. Die Pädagogin lebte über 12 Jahre mit ihrem Mann, der ebenfalls die Idee von Beginn an begleitet, und den drei Kindern in Berlin. Letztes Jahr kam sie in die Heimat zurück. Nicole und ihr Mann André haben sowohl als jahrelanger Lernbegleiter und auch als Eltern Erfahrungen mit freier Schule gesammelt. Aus ihrer Elternperspektive ist es sehr wichtig, einen Ort für Kinder zu gestalten, wo ganzheitliches freies Lernen möglich wird. 

Nach dem Ideenstart im Sommer 2019 standen zunächst Aufgaben wie das Sammeln von Informationen über die Gründung einer freien Schule und rechtliche Fragen an. Über den Bundesverband der Freien Alternativschulen e.V. (BFAS) kam der Tipp, das Vorhaben über eine Vereinsgründung umzusetzen. Im Oktober 2019 erfolgte mit neun Gründungsmitgliedern ein weiterer wichtiger Schritt und das Wurzelwerk Lausitz e.V. war geboren. In fünf Arbeitsgruppen werden nun die einzelnen inhaltlichen Baustellen bearbeitet. Die Themenpalette reicht von der Finanzierung über Recherche nach dem geeigneten Ort sowie der Konzepterstellung bis hin zu den Verwaltungsaufgaben des Vereines und der Öffentlichkeitsarbeit. Gut durchdacht und professionell, so waren auch meine ersten Eindrücke bei der Vorbereitung zum Interview. Das Team ist eine wunderbare Mischung aus kompetenten jungen Menschen unterschiedlicher beruflicher Richtungen. Teils mit Universitätsabschluss aus Wissenschaft und Wirtschaft, teils mit pädagogischem Berufsabschluss und aus Praktikern. 

„Aktuell hat die Konzepterstellung höchste Priorität, da der Antrag bis Ende März 2021 beim Ministerium eingereicht werden muss“ informiert Jadranka. Sie arbeitet mit Josefine im Vorstand und ist für die Finanzierung und die Strukturgebung im Verein verantwortlich. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Mutter von zwei Kindern möchte die freie Schule als weiteren Standort- und Wettbewerbsfaktor für die Region ausbauen. Besonders für Rückkehrer*innen ist die Schulfrage entscheidend für den Schritt zurück in die Heimat. Sie sieht als Aufgabe, die Kinder in den Kompetenzen stärken, die sie als Mensch ausmachen: Verbindung, Emotion, Reflexion und Empathie.  

„Es ist keine Utopie, es gibt in Brandenburg 177 freie Schulen“ bekräftigt Karoline das Vorhaben. Die junge Frau kam 2018 von Kiel zurück und arbeitet hauptberuflich als Theaterpädagogin am Staatstheater Cottbus. Sie möchte einen Ort für Kinder schaffen, der sie bestmöglich auf die unumgänglichen Aufgaben wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und Migration vorbereitet. Um in dieser Welt (selbst) -bewusst zu agieren sind Individualität, Fantasie und Mut von großer Bedeutung. Schule soll keine Dienstleistung, sondern ein Teil des Zuhauses sein, das Kinder in ihrer Entwicklung unterstützt und ihnen ermöglicht, zu den Menschen zu werden, die sie sein wollen. Karoline arbeitet gemeinsam mit Nicole und viel Leidenschaft am Konzept. 

Das Projekt nimmt inzwischen deutlich Fahrt auf. Im nahen Herbst stehen wichtige Termine an. Josefine übernimmt die Öffentlichkeitsarbeit im Verein. Die ersten Ergebnisse und der aktuelle Stand werden in einer Informationsveranstaltung im Strombad Cottbus präsentiert und es gibt die Gelegenheit, mit interessierten Eltern und Unterstützer*innen ins Gespräch zu kommen. Auch wird die Feldstudie, eine aktuelle Befragung auf Instagram zum Thema Bedarf freie Schule, in einem World Café aufgegriffen. Hier haben sich bereits viele Menschen mit dem Satz „An Schulen fehlt mir aktuell…“ eingebracht. 

Unterstützen kann man das Projekt auf unterschiedliche Weise, als Mitglied im Verein, durch finanzielle Spenden und Sponsoring oder durch Zeitspenden mit aktiver Arbeit als „Expert*in“ in den Arbeitsgruppen. Der große Wunsch der munteren Gemeinschaft ist, das Projekt mit der Region zu verknüpfen und Kinder zum Wurzelschlagen in der Lausitz anregen. 

Text: Annett Miethe | Fotos: Paul Glaser