Danilo Kuscher lässt auf sich warten. Es sind nur ein paar Minuten, die wir gemütlich schaukelnd in der der warmen Morgensonne verbringen, dann kommt der blonde Schlacks mit einem lausbübischen Grinsen um die Ecke. „Die Weltpresse kann man doch ruhig ein bisschen warten lassen“, lacht er und zieht halb unschuldig, halb sich entschuldigend die Schultern hoch.

Die Zeit scheint sowieso ein bisschen weniger wichtig zu sein im Görlitzer Kühlhaus und seinen Außenanlagen. Camper schlendern zu den Waschräumen, vom Zeltplatz kommen in Intervallen Duftwolken frisch aufgebrühten Kaffees zu uns herüber. Aber auch alle, die hier arbeiten, vermeiden tunlichst, dabei ein angespanntes Gesicht zu machen. Paul und ich schauen uns erschrocken an. Nicht dass uns das auch noch einholt, der Zauber dieses Ortes.

Angefangen hat alles mit einem Holländer, der erfolgreich Kühlhäuser in Belgien und den Niederlanden betrieb. Und sich nach der politischen Wende in Ostdeutschland umschaute. Er erwarb von der Treuhand drei noch aktive Kühlhäuser, eine Eieraufschlagfabrik im brandenburgischen Plessa und das bereits stillgelegte Haus am Rande von Görlitz. Es wieder in Betrieb zu nehmen, hätte Millionen verschlungen, ein Bedarf war nicht zu erkennen.

Zur gleichen Zeit war Danilo mit Freunden auf der Suche nach Locations für ihre Techno-Partys. Groß, abgelegen, nicht einsturzgefährdet lauteten die einfachen Kriterien. Zwei Jahre brauchten sie, um ein Gespräch beim Eigentümer zu bekommen. Dem gefiel der Gedanke, dass die jungen Leute sich engagieren wollten. „Der hat uns erstmal zwei Jahre lang beobachtet, wie wir ohne jegliches Geld einen Teil der Gebäude und die Außenanlagen in Ordnung gebracht haben. Wir hatten manchmal nicht die 20 Euro für’ne Tankfüllung.“

Mit wachsendem Vertrauen kam das Angebot des Eigentümers, etwas zu investieren. „Weil wir ganz viel selbst gemacht haben, hatten wir am Ende für gerade mal 8.000 Euro ein funktionierendes Verwaltungsgebäude.“ 2012 macht die Truppe die riesige ruinöse Maschinenhalle zu einem bespielbaren Ort. Der Eigentümer musste nur Farbe, Fenster und die Maschinenmiete beisteuern. „So haben wir ihn über die Jahre immer abgeholt. Kleine Investition – krasses Ergebnis.“

Zweimal im Jahr setzen sich die Leute vom Kühlhaus e.V. mit dem Eigentümer zusammen, machen Kassensturz. „Dabei sieht man, wie wenig man mit Kultur verdienen kann.“ Der Holländer ermahnt sie freundlich, wirtschaftlicher zu denken. Er setzt keine Deadline, macht aber klar, dass er gerne eines Tages eine schwarze Null sehen würde. 2016 erwirtschaftet der Verein zum ersten Mal die nicht geringen Betriebskosten für das große Gelände. Im gleichen Jahr entsteht der Plan, es touristisch nutzbar zu machen. Dafür rechnen sie aus, brauchen sie mindestens 3,5 Planstellen. Wieder hilft der Holländer.

Im Mai 2019 kommen die ersten Gäste und veröffentlichen im Netz begeisterte Berichte über die junge Alternative zum gewohnten Camping-Angebot. Neugierige reisen aus Neuseeland an, aus Brasilien und aus ganz Europa. Am Ende der Saison sind es mehr als 3.000, die Caravanstellflächen, Zeltplatz oder das einmalige Garagenhostel nutzen. „Wir haben alles hier. Freaks, Familien, Rentner. Ganz selten auch mal komfortverwöhnte Wohnmobilisten mit skeptischem Blick, die enttäuscht wieder abfahren, weil sie keinen Satellitenempfang haben.“

Die häufigsten Fragen im Vorfeld sind, wie weit ist es in die architektonisch interessante Stadt Görlitz, wie weit zum 980 Hektar großen Berzdorfer See. Das Kühlhaus-Gelände liegt genau in der Mitte, an einem Bahnhaltepunkt und dem Oder-Neiße-Radweg. Ideal. Und es bringt mit seinem chilligen Begegnungspavillon die verschiedensten Menschen zusammen. „Das ist schon was anderes als der sonst oft vorzufindende Speiseraum. Als kürzlich zu einem Workshop namhafte Architekten und internationale Illustratoren kamen, haben die sich im Pavillon am Abend wunderbar mit den Touristen ausgetauscht.“

Corona hat die Quellmärkte in diesem Jahr verändert. 90% der Gäste kommen aus Deutschland, die anderen aus der Nähe. Tschechien, Holland, Schweiz. Das wirtschaftliche Saisonziel, ist sich Danilo Kuscher ziemlich sicher, wird erreicht werden. „Wir bringen neue Zielgruppen hier her. Viele, die eine Nacht bleiben wollen, verlängern Tag für Tag, weil wir ihnen sagen, was es noch alles zu entdecken gibt. Einen Städtetrip nach Liberec, Klettern in den Königshainer Bergen, ein Abtauchtag auf der Kulturinsel Einsiedel, einen Ausflug nach Polen ins Hirschberger Tal oder ins Riesengebirge. Wir sind für viele der Schlüssel zum unerwarteten Reichtum der Region.“ Den Holländer dürfte das alles freuen.

Zum Abschluss setzen Paul und ich uns noch einmal in die Hollywoodschaukel, wie fast alles hier Marke Eigenbau. Danilo ist schon wieder um die Ecke geflitzt, zu irgendeiner nächsten Baustelle, den neuen Kurzzeit-Miet-Büros in lässiger Holzoptik vermutlich, „die müssen doch bis Herbst fertig werden“. Wir spüren schaukelnd, dass er die Wahrheit gesagt hat. Hier will man nicht mehr weg.

Text: Axel Krüger | Fotos: Paul Glaser