Eine Binsenwahrheit wird nicht weniger wahr, wenn man sie wiederholt. Also wiederholt der Autor aus voller Brust und Überzeugung: das Oberlausitzer Bergland ist eine wundervolle Region. Die Lieblichkeit der hügeligen Landschaft besänftigt noch den aufgewühltesten Geist und die Freundlichkeit der Einwohner lädt ein, sich sofort zu ihnen zu setzen und nach einem Schnaps zu fragen. Da wäre man bei Steffen Lindner an der allerbesten Adresse.

Auf der Pirsch nach lausitzstarken Geschichten bin ich mit Fotograf Paul Glaser in Neukirch/Lausitz gelandet. Hier soll ein sehr guter Schnaps gebrannt werden, hieß es aus anonymer Quelle. Einen Fliesenlegebetrieb Lindner finden wir sofort an der angegebenen Adresse. Dann ein Schild „Gärkeller“. Und schließlich einen der oben erwähnten enorm freundlichen Einwohner, „den Steffen“ wie der Fliesenlegemeister mit der bewegten Geschichte gleich mal klärt.

Als gelernter Werkzeugmacher hat er Mitte der 80er Jahre im Landmaschinenbau Fortschritt Bischofswerda angefangen, wollte Konstrukteur werden. Dann kam die Wende und alles anders. Erst Kurzarbeit und dann der Entschluss, etwas Neues zu lernen. Ein Bekannter gab den Anstoß. Der war Ofensetzer im benachbarten Weifa. Einem ziemlich kleinen Ort. „Und der hatte nach einer Wurfsendung auf einmal jede Menge privater Aufträge. Das wollte ich auch.“ Also schulte Steffen Lindner zum Fliesenleger um. Seine Frau ließ sich gleich mit anstecken. Als Schneidermeisterin sah sie keine Zukunft für sich. Bürokauffrau schien aussichtsreicher. Gemeinsam bauen sie die Firma auf, bringen sie zu ordentlichem Erfolg und sind heute spezialisiert auf die Arbeit am und im Denkmal.

Dann kam die Sache mit dem Most. „Wir sind zum Urlaub nach Österreich gefahren. Nach der langen Reise hatten wir tüchtig Durst und haben jeder ziemlich flott einen halben Liter Most ausgetrunken. Most ist bei uns zu Hause unvergorener trüber Fruchtsaft. In Österreich ist Most ein Obstwein. Da hat’s uns aber schön umgehauen.“ Das kleine Malheur weckte eine große Liebe. Bei den jährlichen Hoffesten für Nachbarn, Kunden und Geschäftsfreunde des Fliesenlegebetriebs gab es ab sofort sehr viel Most. „Über 100 Liter haben wir mal ausgeschenkt.“ Trotzdem blieb immer was über. Was tun?

Die Gastgeber in Österreich hatten den Lindners erzählt, dass Brennen die schönste Verwertung von altem Most sein. Nur das bundesdeutsche Recht gab das für Neukirch nicht her. Eine Lücke im Einigungsvertrag hatte dafür gesorgt, dass alle alten Brennrechte auf dem Gebiet der neuen Länder erloschen waren. Wir kürzen an dieser Stelle ab, die Lindners sind zäh, kaufen Omas Haus zurück, schaffen sich eine Verschlussbrennerei an, sammeln mühsam alle notwendigen Genehmigungen ein und eröffnen nach zwei Jahren ihre eigene Schaubrennerei mit Gastwirtschaft.

Zwei Jahre lang lässt sich Steffen Lindner an dem Wochenende mit 20 anderen in Bayern ausbilden. 20.000 Kilometer auf der Autobahn nimmt er dafür in Kauf. Als danach das Angebot kommt, auch noch den Abschluss als Brennmeister zu machen, will er eigentlich nicht mehr so recht. Er gibt die Unterlagen an Tochter Susann weiter. Die will. Und zieht den Vater doch wieder mit auf die Schulbank. Beide sind erfolgreich und Susann damit die erste sächsische Brennmeisterin. Mit reichlich Ideen. „560 Kilo Hokaido-Kürbisse hat sie mal verarbeitet zu Geist, Brand und Spirituose.“

Steffen Lindner versucht sich mit Getreide, röstet zum Beispiel Süßlupinen, aus denen andernorts Blümchenkaffee gemacht wird, und stellt einen so guten Getreidebrand her, dass ein Sensoriker aus Südtirol, der den edlen Stoff auf die Zunge bekommt, völlig begeistert ist. Das spornt an. Gemeinsam mit der Rechenberger Brauerei entwickelt er einen Brand, stellt ihn auf der „Destillata“ in Österreich, einer bedeutenden Edelbrandprämierung an und holt unter 12 Teilnahmeländern den Titel „Bester Bierbrand des Jahres“ nach Hause in die Lausitz. Auch Zwieback kommt in die Destille. Daran sei eigentlich der Bürgermeister schuld.

Der hatte auf einer Versammlung angeregt, dass die lokalen Unternehmen mehr kooperieren sollten. Lindner fackelt nicht lange, holt sich die ersten 100 Kilo vom Neukircher Traditionshersteller des krümelnden Gebäcks und stellt das nächste begehrte „Mitbringsel aus der Heimat“ her. Einen Eierlikör speziell für Udo Lindenberg hat er auch schon gemacht und es tatsächlich geschafft, ihn dem prominenten Rocker zu überreichen. Der – natürlich – begeistert war. Derzeit fährt gerade „ä Fässl Rum“ über die Weltmeere. Was daraus werden soll, bleibt noch geheim. Aber dass es gut wird, ist gewiss.

Und was ist nun das Geheimnis hinter ihrer Marke Schusterliebs? „In unserem Garten“ erzählen die Lindners mit betont unschuldigem Augenaufschlag, „hat einst das Gedingehaus gestanden. Und da war die Magd, so erzählen es die Alten, wohl einst mit dem Schuster im Heu.“

Text: Axel Krüger / Fotos: Paul Glaser