Widerstand ist ein Wort, das René Seidel gerne in den Mund nimmt. Dabei zieht er keine kämpferische Miene, wie man das von Berufsrevolutionären kennt. Sondern lächelt versöhnlich. Mehr Dalai Lama als Che Guevara. Seine Form des Widerstands gegen verkrustete Strukturen und Denkweisen kommt freundlich daher und ist doch wundersam effektiv.
Seidel, Jahrgang 1987, ist der sprichwörtliche Hans Dampf in Löbaus Gassen. Der Diplom-Übersetzer mit dem Master in Erwachsenenbildung ist Fachbereichsleiter bei der örtlichen Volkshochschule. Daneben engagiert er sich, seit er denken kann, in den verschiedensten Projekten. „Es muss ja was werden“, antwortet er entwaffnend einfach auf die Frage nach der Motivation, die ihn antreibt. Sonst, so hört man es leise heraus, würde nicht so viel im ostsächsischen Löbau. „Es gibt kein Kino mehr, keine Bar, keinen Ort für kleine Konzerte. Mit Schlagerstars in der Messehalle lockst Du junge Leute nicht hinterm Ofen vor.“
Mit dem Verein „LöbauLebt“, den sie zu sechst vor einigen Jahren gegründet haben, will Seidel der aufkeimenden Tristesse etwas entgegensetzen. „Viele Leute sind ängstlich, von selbst was Neues auszuprobieren.“ Den Ängstlichen will der Verein Angebote machen. Nach langer Suche sind sie vor einem Jahr auf eine leerstehende ehemalige Bäckerei gestoßen. Konnten sich mit dem Besitzer, einem alten Herren, einigen und durften bei eigener Sanierungsleistung erst einmal kostenlos einziehen.
Mit gerade einmal 15.000 Euro, ihrem Preisgeld aus dem Ideenwettbewerb „Mitmachfonds Sachsen“ haben sie eine Werkstatt geschaffen, mietbare PC-Arbeitsplätze, einen Makerspace mit 3-D-Druckern, eine kultige Bar, in der es Kinovorführungen, Konzerte und jede Menge Leben gibt. Mission erfüllt? „Noch lange nicht, wir haben noch viele Pläne.“ Ein verwilderter Garten hinter dem Haus wartet auf Bewirtschaftung, ein weiteres Stockwerk könnte für Meeting-Räume und Co-Working Plätze ausgebaut werden.
Auch mit seinem Arbeitgeber, der VHS, entwickelt René Seidel ungewöhnliche Formate. Ausdrücklich für den ländlichen Raum. Digitaltreffs für Senioren, denen behutsam die Nutzung von Tablets oder Diensten wie WhatsApp nahe gebracht wird. „Die Enkel, hören wir immer, haben keine Geduld, das ihren Großeltern beizubringen.“ Die Nachfrage ist riesig, die Kurse immer ausgebucht. So auch neulich, als der Umgang mit einer WanderApp Thema war. „Damit die sich im Tschechischen nicht mehr verlaufen.“ Immer gibt es einen Kaffee dazu. „Eigentlich sind wir ein sozialer Treffpunkt.“
Eine neue Herausforderung steht gerade an. Die Umrüstung eines Transporters, um Kultur und Bildung auf`s Land zu bringen. „Die Älteren, die nicht mehr selbst Auto fahren, haben sonst kaum eine Möglichkeit, unsere Angebote wahrzunehmen. Die können ja vielleicht noch zu uns hin mit dem Bus. Aber am Abend fährt nichts mehr zurück.“ 160.000 Euro nehmen sie in die Hand. Nur möchte man sagen. Denn da ist das Fahrzeug drin, die Ausrüstung, die Personalkosten für den Fahrer und eine halbe Pädagogenstelle. So wollen sie Kino in die Dörfer bringen, kleine Konzerte, Seminare. „Wir haben alles an Bord. Wir können auch Yoga auf der Kuhweide anbieten.“ Ganz frisch ist die Information, dass es für dieses Projekt vom Sächsischen Mitmachfonds ein Preisgeld gibt. „Damit steht unser Eigenanteil.“
Bleibt dem Tausendsassa denn bei all den Projekten überhaupt noch Zeit für Privates, wie seinen lässigen Lieblingssport Frisbee-Werfen? René Seidel muss ein bisschen überlegen. „Stimmt, hab‘ ich länger nicht mehr gemacht.“
Text: Axel Krüger | Fotos: Paul Glaser
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