„15 Euro spenden manche Gäste. Pro Person. Um einmal durch den Garten zu gehen. Grandios.“ Julia Bojaryn ist begeistert über so viel Solidarität mit „ihrem“ Haus, das seit dem Frühjahr vor einigen neuen Herausforderungen steht. Auf der Suche nach lausitzstarken Geschichten sind wir im ostsächsischen Städtchen Löbau gelandet. Knapp 15.000 Einwohner, eher beschaulich, aber mit einem weltberühmten Gebäude, welches die Gäste anlockt, selbst wenn sie außerhalb der Öffnungszeiten nur durch den Garten gehen dürfen.
Das Haus Schminke gehört in verschiedenen Quellen zu den vier bedeutendsten Wohnhäusern der klassischen Moderne weltweit. Anfang der 1930er Jahre wurde es als Fabrikantenvilla für die sechsköpfige Familie Schminke vom Architekten Hans Scharoun entworfen und verblüfft bis heute mit seiner Fülle an überraschenden architektonischen Einfällen, von der klugen Lichtführung bis hin zu einem als Kinderrutsche ausgeführten Treppengeländer.
Julia Bojaryn hat dieses sehr besondere Haus im Rahmen ihres Studiums während eines Seminars kennengelernt und war sofort verliebt. Weil sie weiß, dass neugierige Kinderaugen ohne architektonische Vorbildung die besten Entdecker sind, entwickelt sie eine spezielle Führung für ganz junge Besucher und bildet die Kinder selbst zu Hausführern aus. Als sie die Chance erhält, für das Projekt „Topomomo“ hier als Assistenz fest zu arbeiten, zögert sie nicht lange.
2019 wird sie Autorin eines beachtlichen Buches. „Der moderne Blick“ stellt 20 Bauten der Moderne in Sachsen vor. „Augmented Reality“, also computergestützte visuelle Anteile im Buch sprechen schon Dreijährige an, sich mit den Gebäuden spielerisch zu befassen. „Wer dadurch Lust bekommt, die Häuser real zu besuchen, der folgt genau unserem Anliegen.“
Die Arbeit wird allerdings nicht weniger. Führungen mache sie heute nur noch wenige, dafür bleibe kaum Zeit. Wenn Fachleute kommen, dann ist ihre „ingenieurige“ Art gefragt. „Ältere Damen mit Anekdoten aus dem Schlafgemach von Charlotte und Fritz Schminke zum Kichern zu bringen, das kann unser Herr Falk viel besser.“ Die Besucher sind tatsächlich bunt gemischt, wie man an den überaus freundlichen Einträgen im Gästebuch ablesen kann. „Es gibt spezielle Bauhaus-Reisende, die weltweit diese spannenden Zeitzeugen aufsuchen.“ Die seien überglücklich, wenn sie sogar im Haus übernachten können, „denn dann kommt die Wirkung erst richtig zum Tragen. Wir empfehlen denen, sie sollen mal eine Stunde lang jeden Lichtschalter ausprobieren und unbedingt eine Flasche Rotwein im Wintergarten trinken.“
Weil auf der zugehörigen Streuobstwiese schöne alte Obstbäume stehen, gibt es seit ein paar Jahren auch einen eigenen Apfelsaft. Und einen sehr guten Brand. „Wer das kauft und uns damit unterstützt, betreibt flüssige Kulturförderung.“
Was Julia Bojaryn und ihren Mitstreiter*Innen stets beschäftigt, ist die regionale Bekanntheit. „Da ist Luft nach oben.“ Besonders die Zeit nach 1963, als aus dem einstigen Schmuckstück, das selbst von der russischen Kommandantur, die 1945 eingezogen war, im tadellosen Zustand verlassen wurde, ein „Haus der Pioniere“ wurde, hat dem kollektiven Erinnern geschadet. „Wohl über 40.000 junge Menschen aus Löbau und Umgebung haben hier über Jahrzehnte Kinderdisko gefeiert und schöne Zeiten gehabt, aber leider nie etwas von der besonderen Bedeutung des Hauses erfahren, obwohl sie das sicher interessiert hätte.“ Vermutlich, weil Fritz Schminke nach Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft die DDR verlassen hatte, wo der einstige Nudelfabrikant wegen der Belieferung der Wehrmacht als Kriegsgewinnler galt und enteignet wurde.
Immerhin konnte sich die Stadt Löbau 2018 durchsetzen, die benachbarte unsanierte Nudelfabrik zu erwerben. „Jetzt hoffen wir, dass ein Ort der Kultur daraus wird, vielleicht könnte hier auch ein gemeinsames Museumscafé unterkommen. In jedem Fall wäre es zu wünschen, dass aus den Gebäuden wieder eine Einheit wird.“ Wie einst, als sich die Schminke-Kinder auf dem Fabrikhof mit den Arbeitern fröhliche Schneeballschlachten lieferten, wie historische Bilder belegen.
Ein Riesensprung für die Bekanntheit waren die „Privatkonzerte“, die in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit MDR und Deutscher Welle stattgefunden haben. „Alleine 70 Leute, die zur Produktion gehörten, da war die Hütte voll.“ Nur eine Handvoll Zuschauer hatten noch Platz, um Weltstars wie Anastacia oder Kiefer Sutherland, die Bands Silly und Karat, Entertainer Ross Antony oder Rapper Eko Fresh auf dem Sofa neben Wigald Boning zu bewundern. „Aber die Fernseh-Ausstrahlung ist für uns immer noch etwas Besonderes.“
Dass aber der Herr Boning sich etwas herausgenommen hat, was nur den Schminke-Kindern erlaubt war, das ist hängengeblieben bei Julia Bojaryn. „Der ist doch tatsächlich als allererstes das Treppengeländer runtergerutscht.“
zur Homepage: Haus Schminke
Fotos: Marcel Schröder